Herr Göksen, der Bundeshaushaltstitel für Integrationskurse, also Deutschsprachkurse für Zugewanderte, soll in 2025 von 1,1 Mrd. € auf 500 Mio. € gekürzt werden. Welche Konsequenzen hätte die Kürzung?
Wir müssten dann unser Angebot deutlich zurückfahren. Und das wird sicher deutschlandweit für die meisten Integrationskursträger zutreffen. Die Menschen, die zu uns nach Deutschland kommen, würden die deutsche Sprache erst sehr viel später oder möglicherweise gar nicht lernen. Diejenigen, die in den Städten leben, müssten lange Wartezeiten in Kauf nehmen. Im ländlichen Raum wird es dann für viele gar nicht mehr möglich sein, einen Sprachkurs zu besuchen, der mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar ist. Spracherwerb wird von der Politik immer als Schlüsselkompetenz für Integration bezeichnet. Wenn kein Sprachkurs besucht wird, verzögert sich die soziale und arbeitsmarktliche Integration und letztendlich entstehen dadurch weitere Kosten. Ich frage mich, ob das wirklich gewollt ist.
Wie groß ist die Nachfrage nach Integrationskursen und wie lang sind die Wartezeiten?
Die aktuelle Wartezeit von der Anmeldung bis zum Kursbeginn dauert in Wiesbaden rund drei Monate bei den allgemeinen Sprachkursen. Bei den Alphabetisierungskursen für Menschen die gar nicht oder nur sehr schlecht lesen und schreiben können, ist die Wartezeit auch jetzt schon deutlich länger. Leute, die im August angefragt haben, mussten auf das nächste Jahr verwiesen werden. Auch jetzt, also bevor der Rotstift möglicherweise angesetzt wird, gibt es bei den Alpha-Kursen keine Chance auf einen zeitnahen Kursbesuch.
Der Bundesrechnungshof kritisiert in seinem Bericht enorme Kostensteigerungen bei Integrationskursen. Die erheblich gestiegenen Kosten stünden nicht im Verhältnis zu einem im Vergleich nur kleinem Plus an Teilnehmenden. Ist diese Kritik berechtigt?
Dass die Kosten gestiegen sind, trifft zu. Trotzdem ist die Kritik nicht berechtigt, denn sie vermischt manches miteinander. Man muss dann nämlich auch sagen, dass die Bedingungen für Lehrkräfte schon lange vor dem Krieg in der Ukraine so schlecht waren, dass es schwierig war, überhaupt Personal zu finden. Die Honorarentgelte wurden deshalb in den vergangenen zehn Jahren sukzessive angehoben. Mit dem Beginn des russischen Angriffskrieges hat sich die Lage in sehr kurzer Zeit nochmals zugespitzt. Wir hatten wieder eine stark steigende Nachfrage aber keine Lehrkräfte. Mit über 360.000 Integrationskursteilnehmern bundesweit war die Auslastung nie zuvor so hoch, nicht einmal nach der Flüchtlingswelle in den Jahren 2015 und 2016.
Der Bundesrechnungshof kritisiert auch, dass die Abbrecherquote bei Geflüchteten aus der Ukraine hoch ist. Nur 46% der Ukrainer haben 2023 die Prüfung geschafft. Da scheint es doch auf den ersten Blick vernünftig, zu kürzen, oder?
Weil ein System nicht gut zu funktionieren scheint, muss man es nicht direkt radikal kürzen. Vor allem macht das keinen Sinn, wenn sich alle darüber einig sind, dass Deutschspracherwerb die Basis für Integration ist.
Mein Vorschlag wäre, die Struktur zu ändern. Im Moment haben alle, die nach 600 Unterrichtseinheiten nicht bestehen, die Möglichkeit, weitere 300 Unterrichtseinheiten für die Kurswiederholung in Anspruch zu nehmen. Vielleicht wäre es zielführender, die Stundenzahl im Wiederholungskurs zugunsten des regulären Angebots zu reduzieren und damit für alle etwas Druck rauszunehmen. Man muss sich klarmachen, dass ein Deutschsprachkurs und das Bestehen der Prüfung kein Spaziergang sind. Deutsch ist eine sehr schwierige Sprache und die Anforderungen an die Teilnehmenden sind hoch. Hinzu kommt, dass Teilnehmende häufig den Kurs absolvieren und gleichzeitig Flucht- und Kriegserlebnisse verarbeiten müssen.
Wie steht es insgesamt um die Motivation der Teilnehmenden?
Insbesondere bei den Ukrainern ist das sehr unterschiedlich: Viele haben klare Vorstellungen. Sie sitzen im Unterricht und wissen genau, ich werden nicht zurück in die Ukraine gehen. Ich möchte hierbleiben. Ich muss vernünftig Deutsch können, um hier zu leben und zu arbeiten. Andere warten nur auf das Ende des Krieges und wollen dann sofort zurück. Da helfen auch die Verpflichtungen des Job-Centers, einen Integrationskurs zu besuchen, nicht weiter. Menschen aus Afghanistan, Syrien oder dem Iran haben das oft für sich klar, dass sie keinesfalls in ihre Heimat zurückwollen. Und das wirkt sich auf deren Motivation aus.
Insgesamt stellen wir fest, dass die Motivation der allermeisten Teilnehmenden hoch ist, wenn sie sich bei uns anmelden. Deshalb ist es auch wichtig, dass die Leute die Kurse zeitnah beginnen können. Dann verpufft die Anfangseuphorie auch nicht und kann positiv für den Spracherwerb genutzt werden.
Als Integrationskursträger arbeiten Sie eng mit den Migrationsberatungsstellen zusammen. Auch sie werden vom Bund gefördert. Welche Rolle spielen die Beratungsangebote für Ihre Arbeit?
Die Migrationsberatung ist für uns eine wichtige Stütze. Als Lehrkräfte sind wir Vertrauenspersonen, aber wir können die vielen Fragen der Menschen nicht beantworten. Dazu haben wir nicht das Wissen und die Zeit. Wir arbeiten mit den Migrationsberatungsstellen eng zusammen, die Beraterinnen kommen in die Kurse und stellen sich vor. Damit wird das Beratungsangebot bekannt, die Teilnehmenden erfahren, wo sie professionelle Unterstützung erhalten. Und wir können uns darauf konzentrieren, Deutsch zu lehren. Nur so kann es meiner Meinung nach funktionieren.
Hintergrund: Integrationskurse
Integrationskurse sind Sprach- und Orientierungskurse, in dem auch Grundwissen über die deutsche und europäische Geschichte, Kultur und Rechtsordnung vermittelt werden. Sie umfassen derzeit 600 Stunden Unterricht. Bestehen Teilnehmende eine Prüfung nicht, können Wiederholungskurse mit einem Umfang von 300 Stunden besucht werden. Die Kurse vermitteln das Sprachniveau B1.
Zur Person:
Ersoy Göksen ist Koordinator für Integrationskurse beim Caritasverband Wiesbaden-Rheingau-Taunus. Der Verband bietet seit 2005 Integrationskurse an. Göksen hat Empirische Sprachwissenschaften an der Goethe-Uni in Frankfurt studiert.