Als so genannte Gastarbeiter kamen in den Fünfziger Jahren die ersten Migrantinnen und Migranten nach Deutschland, nach Wiesbaden und nach Biebrich. Viele von ihnen sind geblieben, haben Freunde gefunden, eine Familie gegründet. Und sie sind älter geworden. Was aber sind die spezifischen Bedürfnisse der wachsenden Zahl älter werdender Menschen mit Migrationshintergrund? Und welche Voraussetzungen müssen in den Städten gegeben sein, um diesen Menschen ein selbstständiges Leben im Alter, eine angemessene Lebensqualität und soziale und gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen?
Ein Forschungsprojekt der Fachhochschule Wiesbaden im Verbund mit der Hochschule Fulda hat sich dieser Fragestellung angenommen. Kooperationspartner in Wiesbaden sind der BauHof, das Stadtteilmanagement Kubis, das Einwohner- und Integrationsamt sowie das Amt für Statistik und Forschung der Stadt Wiesbaden. Als Stadtteil, in dem die meisten älteren Migrantinnen und Migranten in Wiesbaden leben, ist Biebrich als ein Untersuchungsort in das Projekt einbezogen.
Seniorinnen und Senioren mit Migrationshintergrund, die sich an dem Projekt beteiligen wollen, waren schnell gefunden. „Das Interesse bei den Migrantinnen und Migranten ist groß“, berichtet Mila Kovacevic, Mitarbeiterin der Fachhochschule Wiesbaden. „Sie sind sehr engagiert, machen sich häufig Gedanken über ihre Situation in Deutschland und hoffen, über das Projekt auf Dauer etwas für sich verbessern zu können.“
Inzwischen wurde Eine Gruppe von 22 Migrantinnen und Migranten zehn unterschiedlicher Nationalitäten und mit verschiedenen sozialem Hintergrund ausgewählt. Sie führen Tagebuch darüber, wie sie ihren Alltag meistern, und treffen sich einmal die Woche im BauHof um den Mitarbeitern der Fachhochschule ihre Lebensrealität zu verdeutlichen – ihre Probleme, Angebote, die sie nutzten, die Formen der Selbsthilfe untereinander, ... Später, in der zweiten Phase des Projekts, werden die Teilnehmer dann nach konkreten Vorschlägen zur Verbesserung ihrer Situation befragt.
Erste Tendenzen zeichnen sich für Mila Kovacevic bereits ab. „Die meisten wünschen sich mehr Angebote in ihrer Muttersprache. Insbesondere sollte das Personal bei Ämtern und in Beratungsstelle n auch andere Sprachen sprechen, Broschüren in mehreren Sprachen bereit liegen und ein Netz ehrenamtlicher Helfer unterschiedlicher Nationalitäten und Muttersprachen zur Verfügung stehen. Aber auch Stadtführungen und Ausflüge sollten in den Muttersprachen angeboten werden.“
Zusätzlich zu den mehrsprachigen Angeboten wünschen sich die Seniorinnen und Senioren einen Ort, an dem sie ihre Erfahrungen an andere weitergeben, sich einbringen und helfen können. „Es ist erstaunlich, wie wenig unsere Teilnehmer an sich selbst denken, obwohl viele von ihnen sehr wenig haben“, erzählt Mila Kovacevic. „Als wir über die persönlichen Wünsche gesprochen haben, wurden die Gesundheit der Familie und keine schlechten Nachrichten am häufigsten genannt. Erst ziemlich spät am Ende kamen Wünsche für die Teilnehmer persönlich.“
Generell sind die Teilnehmer froh, dass es nun eine Struktur gibt, die sich um sie kümmert. Bisher herrschte eher der Eindruck vor, dass ältere Migrantinnen und Migranten als Gruppe mit speziellen Bedürfnissen kaum wahrgenommen werden. Und das, obwohl man sich in Biebrich mit dem Thema vergleichsweise stark auseinander setzt, betont Walter Barth, Quartiermanager im BauHof. Gleichzeitig wird aber auch der Bedarf bei den Seniorinnen und Senioren größer. Auch in Familien mit Migrationshintergrund sind Haushalte, in denen drei oder mehr Generationen unter einem Dach leben, die große Ausnahme.
Am Ende des Projekts stehen schließlich konkrete Vorschläge wie die Situation der Seniorinnen und Senioren mit Migrationshintergrund verbessert werden könnte. „Das Interesse an unserem Projekt und unseren Ergebnissen ist sehr groß. Wir hoffen, dass einiges von unseren Vorschlägen dann auch tatsächlich umgesetzt wird“, sagt Mila Kovacevic.